Impressionen der dj köln vom Pfingsttörn 2000
Nachtwache
Gruppe Merlin eine Woche auf derMytilus
Andrew:
angekommen.
nach kurzen uneinigkeiten entschieden wer wo liegt. die
kleinsten dürfen natürlich wieder da liegen wo es am engsten
ist (oder aussieht, nach der ersten nacht konnte man jörg und markus
erfolgreich in ihre seitlich neben der lümmelwiese liegenden kojen
zurückdrängen).
viel zu lang scheinende einweisung des schiffes (war
schon richtig)
erster tag auf see. zitat : „cool, auf der falado ist mir immer schlecht geworden, hier nicht!!"
zweiter tag auf see. der autor des oben genannten zitats liegt den ganzen tag in seiner koje und k****. mir selbst geht es aber gut, solang ich auf deck bin.
dritter tag auf see. zwei leute liegen den ganzen tag in ihrer koje und k****.
vierter tag auf see. diesmal liegen drei leute den ganzen tag in ihrer koje und k*****. wir anderen denen es gut, oder einigermaßen gut geht, haben das schlauchboot aufgepumpt und es ins meer geworfen, natürlich haben wir es vorher an die mythilus gebunden. dann sind drei von uns in das - im gegensatz zu dem segelschiff winzig wirkende - schlauchboot gestiegen. die anderen haben ein paar manöver gemacht und die schlauchboot-helden haben das ganze fotografiert. zugegeben. es ist schon ein ziemlich beklemmendes gefühl, wenn die mythilus auf einen draufhält und es einem in dem schlauchboot vorkommt, als würde man jeden moment von diesem schiff gerammt werden.
Uli:
"klarmachen zur wende"
dringt leise an mein ohr.
die klüverschot
wird wohl irgendwer anders übernehmen, also mach ich hier unten klar:
tüte festhalten, kopfkissen über nach backbord.
in der messe ist
auch jemand, alles klar.
es knarzt, die nun eintretende fast waagerechte lage
des bodens führt zu völliger orientierungslosigkeit, (so ähnlich
stelle ich mir schwerelosigkeit vor, klasse gefühl!), oben wird wohl
gerade die fock backgehalten, es schwankt
ganz anders als vorher.
„vorsegel über"
hört man hier unten schon nicht mehr, dazu knarrt es zu sehr.
mein kopfkissen hebt sich endlich in die erwartete lage,
ich lausche gespannt auf die geräusche in der messe:
klock! sehr gut, das hörte sich nicht nach glas
an, eher wie eine halbvolle plastikflasche. mein erleichtertes aufatmen
wird durch leise rieselndes klirren unterbrochen und dann durch unterdrücktes
fluchen... und weiter? weiter weiß ich nicht, denn dann kam wieder
der schaukelnde schlaf.
nur die spüliflasche, die fand sich erst zwei spülgänge
später unter der treppe wieder.
Babsi:
segeln – bei viel wind und wellen an der pinne
stehen und versuchen, so hoch
am wind wie möglich zu segeln; in luv
in richtung vorschiff taumeln, weil man in lee
nasse füße bekommt; achtern
stehen und über die schon kleine schaumkronen tragenden wellen blicken;
sich über ein plötzlich auftauchendes wolkenloch freün,
das die sonne auf die segel scheinen lässt; den wind im gesicht spüren
und sich das salzwasser aus den augen wischen!
so in etwa verbrachten wir den pfingstmontag dieses jahres.
wir, die jungenschaft köln, schipperten auf einem kurztörn
über pfingsten nämlich in den dänischen inseln herum. nun
ja – einige von uns verbrachten besagten pfingstmontag leider auch krampfhaft
an eine tasse tee geklammert und fortwährend trockenes knäckebrot
knabbernd... . wer achtern saß und höchst konzentriert auf einen
punkt am horizont starrte – natürlich mit obengenannter standardausrüstung
von tee und knäcke – war meist auch nicht zu einem ablenkenden gespräch
zu bewegen. im laufe des tages leerte sich das deck; es füllten sich
die kojen... . mir persönlich ging es recht gut. ich stand eine zeitlang
an der pinne (man glaubt gar nicht, wie anstrengend das sein kann!) und
erfreute mich ansonsten an wind und wellen.
der eigentlich held des tages war allerdings marcel.
er versorgte die seekranken unter deck mit tee, verteilte wenn nötig
plastiktüten, entsorgte diese nach gebrauch wieder, und gab allen
in allem den perfekten (see-) krankenpfleger ab, schon allein aus dem grund,
dass ihm (ich glaube als einzigem von uns) unter deck nicht übel wurde.
ich löste dieses problem mit konseqüntem an-deck-und-beschäftigt-sein,
was bestens funktionierte – auch wenn ich dafür später vollkommen
durchnässt war. es war also ein herrlicher segeltag!
generell hatten wir mit dem wetter unheimliches glück.
keinen regen, aber sonst sehr abwechslungsreich: von oben beschriebenem
wind mit entsprechenden wellen über leichten wind zum gemütlich-entspannten
segeln, bis hin zur badeflaute. das wasser der ostsee war schon einigermaßen
kalt, aber doch auch sehr erfrischend... .
reisen ist lehrreich, heißt es. nun, das kann ich nur bestätigen. einmal vom segelbedienen, steürn und navigieren abgesehen, lernten wir auch noch etwas über chaotische ablegemanöver (nein, doch nicht von uns!), bzw. wie man als innerstes, direkt an der pier liegendes schiff eines 5er-päckchens im hafen nicht ablegt. wir wissen jetzt, dass man in diesem fall seinen liegenachbarn besser 15 min vorher bescheid sagt, dass man bald ablegen möchte, und nicht den motor anlässt und mit den worten „wir legen jetzt ab" beginnt, die leinen loszuwerfen... . desweiteren wissen wir nun, dass dänische duschen teuer sind, und dass man sowohl ohne regen nass, als auch ohne rahen glücklich werden kann.
insgesamt war unser törn also einfach genial; gut geskippert und schön! ich hätte pfingsten nicht anders verbringen wollen, und auch das nachträgliche schwanken, welches sich bemerkbar machte, als man wieder festen boden unter den füßen hatte, war durchaus irgendwie reizvoll... ;-).
von diesem törn absolut begeistert, babsi
Sanft werde ich von einer warmen Welle emporgehoben, ich
blicke vor mich und sehe in der Ferne den hellen Strand in der Sonne blinken
und davor das glitzernd blaue Wasser. Mit ein paar lässigen Kraulzügen
schiebe ich mich vorne auf den Wasserabhang und gleite mit der sich aufbäumenden
Welle auf den Strand zu. Ein paar Mal drehe und wende ich mich in der wohligen
Wärme und lasse mich strudelnd vorwärts ziehen, da rüttelt
es mich durch. Erst kurz, dann noch einmal und stärker, sehr unsanft
zwängt sich etwas zwischen mich und die Südseewelle:
„Hei, Aufstehen, hei, Christian, du bist Smut
heute, aufwachen..."
„Laß mich doch in Ruhe, Mensch!"
Ich drehe mich im Schlafsack auf die andere Seite wie
kurz zuvor noch im warmen Wasser, aber nichts zu machen - die Sonne und
die Wärme und das Wasser sind weg. Nur das Schiff mit meiner Koje
wird sanft emporgehoben und gleitet, sich langsam auf die Seite legend,
eine Welle herab. Das Wasser rauscht an der Bordwand entlang.
Ich quäle meine Hand aus dem Schlafsack, taste mich
in das Schwalbennest vor, wühle nach dem Wecker - halb sieben!
Überhaupt nicht einzusehen, daß man als Smut so früh aufstehen
soll. Die Hand gleitet wieder ins Warme, der Adrenalinstoß des ersten
Weckens verhallt in meinen Adern und die Südsee meldet sich wieder.
„Heeeiii! - Wir wollen gleich was zu essen....Du warst
doch derjenige, der meinte, daß der Smut um halb sieben aufstehen
sollte...Außerdem hast du uns Spiegeleier versprochen."
Müde halte ich mich wenig später in der Pantry
fest, denn das Schiff schwankt ganz ordentlich. Verschlafen und unorganisiert
wandern die Augen hin und her. Der Wasserkessel in der dunklen Ecke hinten
macht ssssss-klack, wenn er nach backbord gegen das Regal ruscht und ssssss-frinnggg,
wenn er steuerbord von seinem Tüddelbändsel aufgefangen wird.
Die Thermoskannen machen alle zusammen klklklklack, sowohl nach links wie
nach rechts und die Tellerstapel ganz schnell hintereinander kliklikliklikliklick,
weil die Teller einzeln die Wand erreichen: klikliklikliklikliklik. Schöne
Geräusche, dabei könnte man glatt einschlafen. Mein Kopf vor
der oberen Schlingerleiste macht pock! Au! Mist. Sch...
Der Knoten am Wasserkessel wehrt sich eine Weile, dann
beteiligt sich auch die Wasserpumpe an der Geräuschkulisse pffsscht-
pffsscht- pffsscht- pffsscht- pffsscht.
Hinten rechts kann man den Kessel gut festklemmen, die
Halterung mit ihren offenen Rundungen umfaßt den Blechtopf, und wenn
man die Tülle in Längsrichtung des Schiffes ausrichtet, schwappt
auch der volle Kessel nicht über. Aus der Backskiste suche ich den
restlichen Frühstückskram heraus und wundere mich wieder, daß
es kein Nuß-Pli gibt. (Seit Nuß-Pli auch im Glas zu haben ist,
gibt es keinen Grund mehr, Nutella zu kaufen.)
Jetzt ist es Zeit die nächste Wache zu wecken, schnöde
Rache für das eben erlittene Geschick. Ich nehme mir vor, sie später
nach ihren Träumen zu fragen, vielleicht war ein besonders schöner
dabei, der mein Rachebedürfnis endgültig befriedigen würde.
Während ich die Kaffeekanne mit drei Fingern der
einen Hand festhalte und mit den restlichen zweien den Filterhalter mit
dem Melittakaffefilter und dem Kaffepulver obenauf balanciere, suche ich
nach einem festen Stand, um den Wasserkessel greifen zu können und
dann das Wasser schön in die Mitte des aufgehäuften Kaffepulvers
platschen zu lassen. Ich schaffe das ganz locker, nur die große Thermoskanne
auf der Anrichte macht leicht ssssrr, ssssrr und rutscht ein bißchen
hin und her.
Das System ist jetzt starr und bildet eine gerade Linie:
Oben Wasserkessel, dieTülle genau über dem Filter, darunter die
Kanne, die Anrichte.
Jetzt kippen.
Leider kippt auch das Schiff. Und zwar von links nach
rechts und umgekehrt. Im Gegensatz zu meinem Kaffeeturm drängt das
aus dem Wasserkessel befreite sehr heiße Wasser sofort danach, den
Gesetzen der Schwerkraft zu folgen und fließt lotrecht nach unten.
Nicht in den Filter, da mein System gerade auf Backbordbug liegt. Statt
dessen auf meine Finger, ich lasse alles los, schreie laut und der Kaffee
landet überall.
Mittlerweile rumort es im Vorschiff die ersten verschlafenen
Gesichter driften an mir vorbei ins Klo oder den Niedergang hinauf, um
einen Rundumblick zu wagen. Es sind geradegestellte, müde Gesichter,
noch ohne Mimik, die nicht einmal die Sauerei vor der Pantry beeindruckt.
Nachdem das meiste notdürftig weggewischt ist, kommen
meine mittlerweile etwas wacheren Frühstücksgäste, krabbeln
auf die Bank und bekommen keinen Kaffee. Das gefällt ihnen nicht,
auch nicht der als Ersatz angebotenenTee. Mißmutig schmieren sie
ihre Brote und fragen nach den Eiern.
Ich filtere zuerst den Kaffee, was im zweiten Anlauf leidlich
gelingt.
Die Pfanne wird auf der vorderen linken Flamme festgeklemmt,
ein Schuß Öl hinein, das sich zäh auf den Boden der Pfanne
verteilt. Langsam erhitzt sich das Metall und das Öl beginnt mit den
Bewegungen des Schiffes hin und her zu fließen. Ich greife mir das
erste Ei, schlage mit dem Pfannenwender eine Kerbe in die Schale, breche
sie auseinander und lasse Eiweiß und Eigelb in die Pfanne flutschen.
Fett spritzt auf, die unterste Schicht wird gleich weiß, in der Schicht
darüber glitscht das Eiklar mit dem Dotter noch weiter zum Pfannenrand.
Da wir eigentlich auf Steuerbordbug segeln sammelt sich
in der festen Pfanne ein kleiner See, in dem ein Dotter schwimmt, auf meiner
Seite. Rundherum ist er von Öl umgeben und alles schwappt. Noch einmal
nach Backbord, mit Schwung wieder zu mir und flupp-glitsch über den
Rand. Mist.
Ich könnte nun schreiben, daß der Dotter ganz
geblieben sei, noch auf der Anrichte sich befände und leicht und ungesehen
sich mit dem Pfannenwender wieder in die Pfanne befördern ließe.
Er liegt aber auf den Bodenbrettern, was mit Hohngelächter und Buhrufen
von der Bank quittiert wird.
Wieder muß ich wischen, die Bank mit den billigen
Plätzen gibt weiterhin keine Ruhe und ich tropfe wieder Öl in
die Pfanne - vorsichtig - und schlage das nächste Ei hinterher. Dieses
bleibt in der Pfanne und sammelt sich wie sein unglücklicher Vorgänger
in der mir zugewandten Ecke.
Sofort (Sofort!) im Anschluß hebe ich die Pfanne
mit dem Ei-See an, damit das Spiegelei nun nicht keilförmig gebraten
wird, weil der Pfannenboden schräg liegt, die Oberfläche des
Eiweißsees aber gerade bleibt, sondern, wie Spiegeleier zu sein haben,
schön flach und knusprig wird. Jetzt kommt mir die Schwerkraft zu
Hilfe, denn am Eidotter, der wie die Libelle einer Wasserwaage hin und
her schwappt, kann ich prima sehen, ob ich die Pfanne wirklich waagerecht
halte. Mit den Bewegungen des Schiffes und dem gleichzeitigen Kippen des
Herdes hebe und senke ich die Pfanne, damit es ein gutes, ehrliches Spiegelei
wird. Ich konzentriere mich, sorge für einen festen Halt und rutsche
auf den Resten des ersten Eis aus. Ich rutsche mit den Beinen vom Herd
weg und nach hinten unter den Tisch, mit der einen Hand versuche ich mit
dem Bratenwender irgendwo Halt zu finden, mit der anderen Hand reiße
ich das zweite Ei, dieses Mal mit der Pfanne, über die Kante auf den
Boden. Das Schiff legt sich auf die andere Seite und ich rutsche in das
Ei und das Öl und die Pfanne hinein.
Nicht mein Tag heute. Und die auf der Bank haben immer
noch Hunger, den Glauben an die Spiegeleier aber längst verloren.
Nachdem ich erneut kopfunter die Bilge geputzt habe, ist mir auch noch
schlecht und ich stürze zum Klo. Erneutes Hohngelächter verfolgt
mich. Als ich zurückkomme, essen sie alle friedlich Brote mit Marmelade.
Ich esse erst einmal nichts.
Auch dieser Tag wird vorübergehen...
Das Topsegel und der Flieger sind geborgen und auch Meike ist still, insgesamt wird es ruhig. Die Konturen des Landes und der Horizont verschwimmen allmählich. Mit der schwindenden Außenwelt schrumpft der Raum auf die Grenzen unseres Schiffes zusammen und läßt es größer werden. Meine Wahrnehmung, die sich zuvor bis zum Horizont ausbreiten durfte, muß sich jetzt mit der kleinen Welt von 14 Metern Länge zufrieden geben, da bekommt jeder Zentimeter Holz ein wenig mehr Platz im Kopf. Selbst das Vorschiff ist nur zu erahnen und die Segel schimmern blaß und ohne Konturen, unscharf wie Gespenster.
Die Schanz ist die Grenze dieser eigenen, kleinen Welt. Von dort aus sehe ich, wie die kleinen Wellen aus dem Nichts kommen und hinter dem Schiff wieder ins Nichts verschwinden. Am Heck schäumt es strudelig am Ruder und wir ziehen einen Schweif von Meeresleuchten hinter uns her. Aber selbst der verliert sich nach wenigen Metern. Schade, daß wir nicht ins Wasser pinkeln dürfen. Dabei erglüht noch ein Zusatzleuchten, das sich rückwirkend bis hin zur Quelle zu ziehen scheint und auch ihr einen gewissen persönlichen Schein verleiht. Eva erzählt vom Atlantik, wo das Meeresleuchten so stark war, daß sie es mit Kaffeefiltern herausfiltern und in Marmeladengläser füllen konnten. In der Koje brauchte man es nur zu schütteln und hatte einen sanft leuchtenenden Trost in einsamen Stunden. Das wäre jetzt was für Meike....
Es ist immer ein komisches Gefühl, wenn die Dämmerung
in die Nacht übergeht. Irgendwann ist der Horizont nur noch zu ahnen
und dann verschwimmt er, es ist oben und unten dunkel. Wenn ich mich innerlich
fallen lasse, verliere ich meine Orientierung im Raum, es gibt keine Bezugspunkte
mehr. Das Schiff neigt sich und richtet sich auf, aber ich spüre es
nur noch, sehe es nicht mehr. Das Schiff scheint sich schwerelos im Raum
zu bewegen. Ich spüre auch die Vorwärtsfahrt nicht mehr, nur
noch das sanfte Geschaukele. Die Wellen verlieren ihren Geschwindigkeitscharakter,
wenn sie am Boot entlangrauschen und selbst wenn wir sehr schnell fahren,
gleicht das Gefühl eher einer Nacht am Strand. Man sitzt und die Wellen
kommen auf einen zu, platschen am Ufer entlang und weg - und selbst sitzt
man still.
Ab und zu knarzt die Klau
(könnte mal wieder gefettet werden) und ich spüre noch mehr als
sonst die der Mytilus eigene sanfte Weichheit des Riggs,
dieses fühlbare Nachgeben der Schoten,
Wanten und Segel in den Böen,
ich fühle, wie sich der Widerstand gegen den vermehrten Druck aufbaut
und das Schiff sich langsam wieder aufrichtet und entspannt. Fast ist es,
als würden Rigg und Rumpf im Wind atmen.
„Ich hab´ da einen Leuchtturm an Backbord..." Zack,
weg ist die Schwerelosigkeit, der Horizont ist durch Menschenhand wieder
zwischen Himmel und Erde geschaltet und bietet Orientierung. Die Kennung
des Turms und der elektronische Betrüger in der Navi verraten uns,
daß wir auf dem rechten Kurs sind, ein zwei Tage werden wir wohl
noch segeln. Kurz bevor ich wieder in meine halbmetaphysischen Gedanken
zurücksinke, hebt Meike wieder an: „Kennst Du das auch?"
„Was?"
„Daß, wenn Du hier so sitzt, auf einmal viele Gedanken
klarer werden?"
„Dafür werden aber andere durchaus noch viel unklarer,
weil man über manche Dinge sonst gar nicht nachdenkt."
„Ja, schon, aber zum Beispiel das jetzt wieder mit der
Bine und dem Frank, das geht mir durch und durch und ich finde es auch
ungerecht. Wie kommt das denn, daß die Bine immer so viel Erfolg
hat bei den Jungs und ich nicht?" Und sie erzählt, nachtwachentypisch,
von Bines angeblichen Liebesabenteuern und ihren eigenen verpaßten
Chancen.
„Ich bin aber viel lieber mir Dir zusammen als mit Bine",
schaltet sich Markus aus dem Dunkel ein und enthebt mich einer Antwort.
Meike rückt ins Dunkel hinein und während ich wieder ins Grübeln
verfalle, dieses Mal über meine eigenen Liebesgeschichten und ihre
Mißerfolge, höre ich Meike mit Markus reden. Na siehste wohl....
Das Wasser in Lee leuchtet gespenstisch grün im Widerschein der Positionslaterne. Die angeleuchtete Welle rauscht und scheint zu Leben zu erwachen. Sie steigt hoch und aus ihr formt sich schnell und schemenhaft eine fiese Seegestalt, die im Schutz der Dunkelheit auf das Vorschiff klettert und davonhuscht. Die Stimmen und Geräusche an Bord sind im Dunkeln viel schwerer zu orten. Sie kommen wie die Wellen aus irgendeiner Richtung, verraten aber ihre Herkunft nicht. Wer weiß schon, ob die Kette, die vorne geklappert hat, vom Ausguck angestoßen worden ist oder nicht doch von irgendetwas anderem? Vorne ist aber wieder alles still.
Karin hat eigentlich Freiwache, will aber morgen smuten
und darf deshalb durchschlafen. Sie hat lange in der Messe
geklappert und jetzt zieht ein genialer, noch unklarer Duft über das
Deck. Klasse. Die Luke schabt auf und Karin schiebt sich vorsichtig, rückwärts,
ein Tablett balancierend den Niedergang herauf. „Halbe Wache: Jemand Waffeln
mit Sahne und Kaffee?" „Ey, endgeil, ey. Ich werd´ wahnsinnig. Super."
Meike und Markus stehen schon neben dem Tablett. Nach einiger Zeit bekomme
ich auch eine Waffel und genieße.
„Voohme um mach Wee iff awweff kaaah."
„Wee bebbe?" Mein Mund ist voller Waffel und mein „Wie
bitte" etwas undeutlich, aber das habe ich nun wirklich nicht verstanden.
Ein Schmatzen aus dem Dunkel beendet einen zu großen Bissen: „Vorne
und nach Lee ist alles klar. Ich geh gleich wieder nach vorne." Jürgi
war vom Ausguck aus seinen Instinkten gefolgt und hatte Futter gejagt.
Wenigstens hat ihn das Ungeheuer nicht erwürgt.
Der Mond geht auf. Auf einmal wird es wieder hell, die Wasseroberfläche verwandelt sich fast vollständig in ein silbriges Geglitzer. Jede kleine Welle wirft uns einen hellen Strahl Mondlicht zu. Alle Schaumkronen auf den Wellen werden zu purem beweglichem Silber. Meike wieder: „Wie schön, daß die Spiegelung gerade genau auf unser Boot zeigt." Das wird nicht kommentiert. Schön ist es allerdings, da hat sie recht, es ist fast unerträglich schön. In der finnischen Wildnis ist uns einmal auf einem mondbeschienenen See mitten durch den Silberstrahl des Mondes eine Entenfamilie geschwommen. Das war dann zu viel des Kitsches und wir sind gegangen. Hier können wir nicht weg und müssen das Schauspiel bewundern, aber es läßt sich auch gerade noch aushalten.
Langsam streicht die Zeit vorbei. Wir peilen noch den
ein oder anderen Leuchtturm und die kleinen Kreuze auf der Seekarte vervollständigen
sich zu einer immer länger werdenden Linie. Eine Rekordmeilenwache
wird das nicht, die Kreuze liegen viel zu dicht beieinander, dafür
sind die vier Stunden sehr geruhsam und außerdem gleich vorbei.
„Chrischan, es ist schon zwanzig vor zwölf, soll
ich die Anderen schon wecken?"
„Ja, mach man - aber nicht so wie gestern...und setz
bitte Kaffee auf."
Penetrant schweigend verschwindet Meike unter Deck. Gestern
hatte sie der Freiwache einfach die Schlafsäcke weggezogen, nachdem
diese nicht gleich aufgestanden war. Mit der Rache der anderen Wache war
sie wohl auch nicht einverstanden, was genau vorgefallen ist, wollten aber
weder Meike noch die Wache verraten. Heute wird jedenfalls ganz lieb geweckt.
Die ersten verschlafenen Gesichter erscheinen und strecken ihren Kopf an
die frische Luft „Moin" - „Moin" - „Ruhige Wache." - „Schön, wo sinnwa
denn?" - „Zwanzig Meilen weiter." - „Schön", und verschwinden wieder.
Im Vorschiffs und unter mir in der Achterkoje kann ich das Gerummel hören,
mit dem sich halbwache Körper im Halbdunkel in schwankender Umgebung
in ihre Kleidung zwängen. Bald darauf erscheint die andere Wache und
verlangt nach Kaffee. Ich trinke mit Jürgi noch ein halbes Bier und
freue mich auf meine Koje und ein paar Stunden Schlaf. Mehr als dreieinhalb
werden es wohl nicht, denn um vier stehen wir schon wieder hier. Morgen
Abend sind wir am Ziel.
*Name von der Redaktion geändert. Zurück zu Ralf
Eine Woche auf der Mytilus -
die Gruppe Merlin auf Seefahrt
Ein kalter, verregneter Morgen im Juni, 4 Uhr morgens:
Es heißt aufstehen, anziehen und auf Deck - natürlich ohne Frühstück!
Die kurze Nacht wurde teilweise mit Schlaf und teilweise mit Ankerwache
verbracht. Jeder musste dabei eine halbe Stunde im Regen auf Deck sitzen
und anhand der umliegenden Lichter an Land beobachten, ob unser Schiff
etwa abtreibt. Dann heißt es: Alle mit anpacken. Nachdem das Großsegel
losgemacht ist, ziehen je zwei an Piekfall
und Klaufall, um das schwere Großsegel
hochzuziehen. Ein dritter sichert jeweils das Tau, schießt
es anschließend auf und macht es am Belegnagel
fest. Während der Zeit hält unser Kapitän Martin die Mytilus
per Motor in der richtigen Position, um sie jetzt langsam in
den Wind zu drehen. Jetzt geht es aber erst richtig los. Die Fock
muss angeschlagen und hochgezogen
werden, was während des Segelns gar nicht so einfach ist: Man muss
richtig aufpassen, von dem flatternden Segeltuch nicht getroffen zu werden.
Endlich stehen wir voll im Wind
und segeln mit einigen Knoten Geschwindigkeit
auf der Elbe in Richtung Nord-Ostsee-Kanal. Die Gruppe Merlin beim Segeln
– endlich haben wir das geschafft, wovon schon einige in der Jugendschaft
geträumt hatten. Die Mytilus war dafür einfach die ideale Möglichkeit.
Das historische Segelschiff, das von einem gemeinnützigen Verein in
jahrelanger ehrenamtlicher Arbeit durch Segelbegeisterte restauriert und
auf den neuesten technischen Stand gebracht wurde, bietet Gruppen von bis
zu 10 Personen die Gelegenheit, einige unvergessliche Tage auf dem Meer
zu verbringen. Die Schiffsbesatzung besteht dabei aus der mitfahrenden
Gruppe, einem Schiffsführer
und einem oder zwei Assistenten, die einem die grundlegenden Handgriffe
beibringen. Von da an heißt es: selbst Hand anlegen, denn Segeln
auf der Mytilus heißt nun mal, an Deck zu sein und auf Kommando die
eingeübten Handgriffe zu tun, um die gewünschten Manöver
zu fahren.
Normalerweise ist die Mytilus in der dänischen Südsee
unterwegs, ihr Heimathafen ist aber Hamburg. So war es unsere Aufgabe,
ausgehend von Hamburg innerhalb einer Woche den Museumshafen Kappeln zu
erreichen, wo die nächste Gruppe einsteigen sollte. Aus diesem Grund
war an den ersten zwei Tagen noch Michael, ein zweiter Schiffsführer
mit an Bord, denn die Elbmündung ist angesichts riesiger Frachtkähne
und vieler anderer Schiffe nicht der ideale Ort für eine neue Crew,
das Segeln zu lernen. Schließlich ist man auf der Elbe auch noch
von Ebbe und Flut abhängig, was - wie bereits erzählt - dazu
führte, dass wir am zweiten Tag schon so früh raus mussten. Um
so erholsamer war dann der nächste Tag, den wir per Motorfahrt auf
dem Nord-Ostseekanal verbrachten. Dort darf man wegen der schmalen Fahrrinne
nicht segeln. Hier war viel Zeit zum Kartenspielen, Lieder abschreiben,
Singen oder einfach schlafen. Für all das bietet die Mytilus trotz
der recht engen Verhältnisse Gelegenheit: im Vorschiff
hat jeder seine eigene Koje, wo tagsüber das Gepäck seinen Platz
hat. In der Messe findet sich neben
der gut ausgestatteten Küche auch ein großer Tisch, an dem alle
Platz finden. Hier wird gemeinsam gefrühstückt und zu Abend gegessen,
auch für gemütliche Singeabende bietet er sich an. Falls man
tagsüber auf See ist, werden einfach Brote geschmiert. Kaffee und
Tee müssen am Morgen in ausreichender Menge gekocht werden. Im Achterschiff
gibt es noch einen extra Raum mit Kojen für Schiffsführer und
Assistenten. Dort sind auch sämtliche Technischen Geräte wie
Funkgerät, Echolot, Satellitennavigation usw. untergebracht.
Auf der Mytilus fühlt man sich sofort zu Hause. Jeder hat seine Aufgabe und die Besatzung tut auch ihr bestes, um Landratten wie uns die Grundlagen des Segelns näherzubringen. Die anfangs etwas verwirrenden Fachbegriffe gehen einem bald in Fleisch und Blut über. Und es ist ein unbeschreibliches Gefühl, zum ersten Mal unter vollen Segeln und bei strahlendem Wetter über die Wellen zu gleiten. Dazu kommen dann unvergessliche Erlebnisse wie bei uns ein Sonnenuntergang in der Kieler Bucht, das morgendliche Baden mit Sprung vom Großbaum, kulinarische Höhepunkte wie Pizza oder Pfannkuchen oder auch der Tag auf der Ostsee, als die Fregatte Bremen uns spontan umrundete, damit die Besatzung sich „mal unser schönes Schiff anzuschauen konnte". Es macht auch einfach Spaß, in jedem Hafen die staunenden oder bewundernden Blicke von anderen Segelschiffen zu sehen, die auf das wirklich schöne Schiff gerichtet sind. Es kam auch vor, dass sich jemand das Schiff von innen anschauen wollte, was natürlich auch erlaubt ist. Der nördlichste Punkt unserer Fahrt war Sonderborg in Dänemark. Dort blieben wir sogar für zwei Nächte, weil der Wind zwischenzeitlich einfach zu stark wehte (Windstärke 6).
Letztendlich kann ich jeder Gruppe nur empfehlen, einmal einen solchen Törn mit der Mytilus zu machen. Es wird wohl nicht das letzte Mal gewesen sein, dass Zugvögel auf die Weise die Ostsee unsicher machen.
An dieser Stelle nochmals vielen Dank an die Schiffsbesatzung Martin, Ulf und Michael, die uns dieses Erlebnis letztlich möglich gemacht hat. Wer weitere Informationen haben möchte, schaut sich im Internet die Seite http://www.vereine.comcity.de/mytilus/index.html an oder fragt einfach jemand aus der Gruppe Merlin.
Klaus
(Bericht aus Zugvogel, Ausgabe 5/99)