Der MIT-VOLLEN-SEGELN-FAST-BIS-NACH-BORNHOLM-TÖRN 2022
Greifswald – Gager – Wolgast – Ankern vor Usedom – Swinemünde – Ankern vor Ruden – Greifswald
27.08. bis 03.09.2022
Die Legende Mytilus. Das bündische Schiff. Irgendwie war es schon ein Traum, einmal selbst mitzusegeln. Und ehe ich mich versah, stieg ich in Greifswald aufs Deck und bepackte unser Zuhause für die nächste Woche bis in die letzte Bilge. Die Kojen im Vorschiff wurden bezogen und die perfekte Töpfe-Stapel-Technik wurde verinnerlicht. Jetzt ging’s los. Und das direkt in der Waagerechten. Meine Seekrankheit knallte direkt rein und ich bewegte mich die nächsten paar Stunden nicht mehr weg aus meiner liegenden Position auf dem Achterdeck. Um mich herum wurden die Segel gesetzt, denn wir schienen hervorragenden Wind zu haben. Mit einem Affenzahn und einem für mich schrecklichen Wellengang rauschten wir nach Gager auf Rügen. Noch eine Wende fahren zur Übung? Bitte nicht! Zum Glück wurde mein Wunsch erfüllt und wir legten zeitnah an. Geschafft!
Das Nachmittagsprogramm bestand aus einer Erkundungstour über die Insel. Der Gipfel wurde erklommen, der herausfordernde Grad bewältigt, Steigeisen kamen wider Erwarten nicht zum Einsatz und von unserem Gipfelkreuz auf 66 m üNN hatten wir einen hervorragenden Ausblick auf das entfernte Kernkraftwerk Lubmin.
Tag zwei auf See unterschied sich für mich wenig von dem Vorherigen. Von meiner vegetierenden Position auf dem Achterdeck aus spürte ich nur die Wellen, die für andere nicht mal als Seegang zu bezeichnen wären. Es gab Kekse aus der Spaßkiste und ich vermied jegliche Flüssigkeitsaufnahme, um keinen Klogang unter Deck riskieren zu müssen. Als wir endlich teichähnliche Gewässer erreichten, erwachte ich so langsam aus meinem Delirium. Wir waren in Wolgast angekommen.
Und dann wurde das Unglaubliche Wirklichkeit! Ich überstand einen Tag ohne Seekrankheit dank der Pinnen-Ablenk-Technik. Wir segelten bis ins Stettiner Haff in den brennenden Sonnenuntergang hinein. Wir hatten einen wunderbaren Ankerplatz erreicht, die Singerunde ging den ganzen Abend und die Sterne funkelten um die Wette. Der Sonnenaufgang vollendete das kitschige Gesamtpaket. Die auf Deck Schlafenden wurden von einem ebenso rosafarbenen Himmel begrüßt, wie der Sonnenuntergang geendet hatte. Als ich die Augen öffnete und ins Rigg hinaufblickte, saßen dort hunderte Schwalben und schissen fröhlich vor sich hin. Abgesehen davon war es ein wunderbares Spektakel, temporär Teil dieses Vogelschwarmes zu sein. Doch der Tag hatte noch mehr zu bieten als wir bis dahin vermuteten. Es fing alles harmlos mit dem Sprung des Skippers ins kühle Nass an. Es gab so gut wie keinen Wind und spiegelglattes Wasser – Zeit für Spielereien: Paddeln mit dem Dingi, Klettern ins Rigg, vom Klüverbaum aus ins Wasser springen, Segelsetzen, bis es perfekt aussieht. Und dann nahm der Wind zu. Schnell mit dem Dingi zurück an Bord, Anker lichten und los ging’s.
Tipp am Rande: Auf Deck und bei Wind sollten keine Regenjacken geworfen werden. Manöver »Regenjacke-über-Bord« war dicht gefolgt von dem Manöver »Dingi-Sitzpolster-über-Bord«. Dabei ging fast einer der Bootsmannshaken flöten; das spärlich auf Deck befestigte Toppsegel machte beinahe einen Abgang und der Navigationszirkel hielt sich mit letzter Kraft an der Reling fest. Nach ein paar Runden im Kreis und einer fast aussichtslosen Suchaktion nach der Regenjacke war dann alles wieder gesichert und wir steuerten unser heutiges Ziel Swinemünde in Polen an. Und da das nicht genug Action für den Tag war, wurde jegliche Konzentration bei einem knappen Einparkmanöver in den Yachthafen gefordert. Alle waren durch den Wind, und die Albernheit übernahm die Abendgestaltung.
Um für alle Beteiligten die Erlebnisse des folgenden Tages nicht zu deutlich in Erinnerung zu rufen, halte ich es kurz: Lange Strecke, viel Wind, drei Freiwillige zum Fischefüttern und mit dem Großteil der Crew war an diesem Tag auch nicht mehr viel anzufangen. Dafür war der Ankerplatz vorzeigbar, sobald man sich an den beißenden Geruch der Kormorane gewöhnt hatte. Wir lagen direkt vor dem Leuchtturm Peenemünde und schliefen an Deck unter dem Sternenmeer.
So langsam reichte es mir aber auch mit dem Geschaukel. Alle anderen hatten sich brav an die See gewöhnt, mein Mittelohr hatte da offensichtlich keine Lust drauf. Fünf Tage Dauerkater wie nach einem Saufgelage sind nicht empfehlenswert. Durch Pinne-Ablenkung überstand ich den Tag in der Vertikalen. Nach ein paar Rigg-Kletter-Sperenzien erreichten wir die Wieker Klappbrücke und kurz darauf – rittlings auf dem Klüverbaum – unseren Zielhafen Greifswald.
Rückblickend war es nicht einfach, die Tage auseinanderzuhalten, da ich ja doch einige Zeit stumpf reglos an Deck gelegen hatte. Doch was bleibt, sind dennoch die positiven Erinnerungen: Unsere Zwei-Mann-Stammcrew bestehend aus Tom und Heiko, die jedes Späßchen mitmachten und uns stetig das Segeln vermittelten. Die Singerunden am Abend, die mal getragen und vielstimmig und mal laut und schmetternd waren. Die Übernachtungen an Deck mit dem unbeschreiblichen Gefühl von Freiheit. Das unfassbare gute Essen, das teils von unseren Stahlmägen bei Wellengang in der Pantry zubereitet wurde. Und eine Gruppe, die sich vor dem Törn kaum kannte und zu einer fabelhaften Crew geworden ist, auf die man zählen kann.